Städtepartnerschaft Leipzig-Jerewan: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Dialog mit Dr. Gabriele Goldfuß

Dr. Gabriele Goldfuß, Leiterin des Referats für Internationale Zusammenarbeit der Stadt Leipzig, spielt eine zentrale Rolle bei der Förderung globaler Partnerschaften. Mit ihrer umfangreichen Erfahrung im interkulturellen Austausch und internationalen Projektmanagement stärkt sie die internationale Präsenz Leipzigs, insbesondere durch die Städtepartnerschaften mit verschiedenen Städten wie Jerewan, Armenien. Ihr Engagement für nachhaltige Beziehungen zwischen lokalen und internationalen Akteuren macht sie zu einer Schlüsselfigur in Leipzigs globalen Initiativen. "Kulturelle Veranstaltungen sind der Schlüssel zu den vielfältigen Möglichkeiten der kommunalen Zusammenarbeit", betont Dr. Goldfuß im Exklusiv-Interview mit Sirarpi Movsisyan.
Gehen wir zurück in die Zeit vor der offiziellen Verbindung zwischen Jerewan und Leipzig, um die Vorgeschichte zu erkunden. Leipzig ist seit langem ein wichtiger Ort für armenische Studenten, und armenische Kulturelemente waren in der Stadt immer präsent. Ich frage mich, ob diese kulturelle Präsenz allein die Hauptmotivation für die Zusammenarbeit war oder ob es auch emotionale oder persönliche Bindungen zu Armenien gab, die die Realisierung des Memorandum of Understanding beeinflusst haben.
Es gibt noch viele weitere Verbindungen zwischen den beiden Städten. Persönliche Treffen und interkulturelle Begegnungen spielen eine wesentliche Rolle in jeder Städtepartnerschaft. Der regelmäßige Austausch mit dem damaligen armenischen Botschafter Ashot Smbatyan hat mich dabei besonders geprägt. Während seiner langjährigen Tätigkeit in Berlin (ab 2014 als Botschaftsrat, dann Ständiger Vertreter, Geschäftsträger und schließlich von Juli 2015 bis November 2021 als Botschafter) förderte er die Zusammenarbeit zwischen Jerewan und Leipzig maßgeblich.
Er erkannte, dass Leipzig über ein aktives Netzwerk von Akteuren verfügte, wie etwa der armenischen Kulturdiaspora. Es bestanden zudem zahlreiche Beziehungen aus der Zeit der DDR und der Sowjetunion sowie eine einzigartige wissenschaftliche Forschungsarbeit zur armenischen Kultur und Geschichte am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas. Als Musikstadt hat Leipzig zudem besondere Verbindungen zu Armenien. So nahmen Leipziger Unternehmer Kontakt zu mir auf, um Netzwerke nach Jerewan zu knüpfen.
In der Tradition der Friedlichen Revolution zeigen sich Parallelen zum demokratischen Aufbruch in Armenien und der Verbindung mit der europäischen Wertegemeinschaft. Auch die Erinnerungskultur spielte dabei eine zentrale Rolle. Historische Verbindungen zwischen den beiden Städten sind in Leipzig lebendig geblieben. Neben zahlreichen armenischen Studierenden haben hier auch bedeutende Persönlichkeiten wie der armenische Sänger, Komponist und Musikwissenschaftler Komitas Vardapet sowie der Komponist Ohan Durian, der als Kapellmeister im Leipziger Gewandhaus tätig war, studiert und gearbeitet.
Neben diesen historischen und kulturellen Verbindungen sind es vor allem die jüngeren politischen Erfahrungen, die die Städte verbinden. Für Leipzig war die Friedliche Revolution von 1989 von zentraler Bedeutung. Sie steht für die Werte von Weltoffenheit, bürgerschaftlichem Engagement, Demokratie und die Überwindung von Repression. Auch Armenien erlebte 2018 eine Revolution – die Samtene Revolution. Hier waren es ebenfalls die Bürgerinnen und Bürger, die durch friedliche Proteste für ihre Rechte eintraten und einen politischen Wandel herbeiführten. Diese gemeinsamen Erfahrungen machen sowohl Leipzig als auch Jerewan zu Symbolen des friedlichen Wandels.
Ein weiteres zentrales Verbindungselement zwischen den Städten in der Erinnerungskultur ist die historische Verantwortung im Hinblick auf den Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich. Diese Verantwortung hat auch zur Gründung des Honorarkonsulats geführt, das unter der Leitung von Honorarkonsul Professor Dr. Flöther weiterhin wirtschaftliche Beziehungen zwischen Leipzig und Jerewan pflegt und weiterentwickelt.
Der derzeitige armenische Botschafter, S. E. Victor Yengibaryan, engagiert sich intensiv für die Verstärkung der Zusammenarbeit und ist ein wichtiger Ansprechpartner für uns.
All diese Faktoren bilden die Grundlage für die Partnerschaft, die 2026 ihr fünfjähriges Bestehen feiern wird.
Was waren die ersten Schritte, um die Kooperation zwischen Jerewan und Leipzig zu etablieren? Wie verlief der Prozess und gab es Herausforderungen oder Aspekte, die nicht wie geplant verliefen?
Am Anfang standen zahlreiche Gespräche mit der armenischen Botschaft und vielen lokalen Partnern. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt signalisierten uns ihre Unterstützung beim Aufbau der Partnerschaft. Organisiert von der Botschaft fand die erste Orientierungsreise der Stadt Leipzig im Sommer 2021 nach Jerewan statt. Trotz der Herausforderungen durch die Pandemie ließen wir uns nicht aufhalten und nutzten jede Möglichkeit im Rahmen der damals geltenden Regelungen für direkten Austausch und Begegnungen.
Der Aufenthalt vor Ort war ein großer Erfolg: Wir wurden von der Stadtverwaltung, der Deutschen Botschaft und vielen Ministerien herzlich empfangen. Ein Leipziger Unternehmen begleitete uns kurzfristig zur Markterkundung, und viele Besichtigungstermine vor Ort wurden organisiert. So konnten wir die Grundlage für erste gemeinsame Veranstaltungen, Konzerte, Gedenkakte und Ausstellungen legen.
Die Armenische Kulturgemeinde ist von Anfang an ein aktiver und unverzichtbarer Bestandteil unseres Partnerschaftsnetzwerks geworden. Sie unterstützt und begleitet unsere Aktivitäten und organisiert regelmäßig Lesungen, Konzerte und Treffen im Städtepartnerschaftsquartier für die Leipziger Vereine am Markt 10, in Zusammenarbeit mit dem Europahaus und der Rahn Education. An den Wochenenden fanden dort auch Sprachkurse für armenische Kinder statt.
Was die Herausforderungen betrifft, möchte ich folgendes anmerken: Als Stadt streben wir an, Projekte in der internationalen Zusammenarbeit stets „auf Augenhöhe“ mit unseren Partnern zu gestalten und umzusetzen. Dieser Prozess erfordert ein gegenseitiges Kennenlernen und den kontinuierlichen Fachaustausch. Dieser Austausch ist nach wie vor eine wichtige Grundlage für den Erfolg nachhaltiger Projekte. Dabei müssen wir unsere Erwartungen, Arbeitsweisen und Ziele weiterhin einander anpassen. Transparenz ist dabei für uns eine tragende Säule. Ein Beispiel hierfür ist unser Austauschprogramm für Schriftstellerinnen und Schriftsteller, das wir unbedingt ausschreiben möchten, damit möglichst viele kreative Köpfe die Chance zur Teilnahme haben. Für die Auswahl haben wir auch eine internationale Jury vorgesehen. Auf der armenischen Seite wird der Prozess durch Nominierungen organisiert – auch hier müssen wir voneinander lernen. Unsere fördernden Partner wie das Goethe-Institut Armenien und die Deutsche Botschaft in Jerewan erwarten ebenfalls, dass wir uns hier weiterentwickeln.
Ein weiteres Anliegen war es, Interesse für Jerewan in Leipzig zu wecken. Für den Schulaustausch mussten wir intensiv nach einer Partnerschule in Leipzig suchen. In Jerewan existiert bereits eine ausgezeichnete Schule mit vertieften Deutschkenntnissen, die sehr interessiert ist. Während unseres ersten Aufenthalts konnten wir die Schule Nr. 60 besuchen, die Leiterin sowie die engagierten Lehrerinnen und Lehrer kennenlernen. In Leipzig mussten wir lange für das Projekt werben, aber nun haben wir es geschafft: Im Februar dieses Jahres findet der erste Austausch zum Thema „Break the Fake“ mit dem Evangelischen Schulzentrum Leipzig statt. Dafür hat der Armenische Kulturgemeinde e.V. in Zusammenarbeit mit uns einen Antrag bei der Stiftung Ost-Westliche Begegnungen gestellt.

Welche Bedeutung hat die offizielle Verbindung zwischen Jerewan und Leipzig? Welche Meilensteine wurden bisher erreicht und was sind die wichtigsten Ziele, die noch erreicht werden müssen? Welche Herausforderungen gab es auf dem Weg dorthin und wie werden sie bewältigt?
Ich möchte das Beispiel der Kultur heranziehen, die oft die beste Möglichkeit bietet, vielfältige Beziehungen aufzubauen und ein stabiles Fundament für eine weitere, umfangreichere Zusammenarbeit zu legen. Offizielle Verbindungen helfen uns als Stadt, Drittmittel einzuwerben und Projekte zu realisieren. Dies ist gerade in diesem Bereich besonders wichtig, da wir uns hier im Rahmen einer freiwilligen Aufgabe bewegen. Pflichtaufgaben haben für jede Stadt Vorrang, was stets berücksichtigt werden muss.
Seit 2024 ist Kristina Raßmann, meine Mitarbeiterin für Osteuropa mit exzellenten Russischkenntnissen, für die Zusammenarbeit mit Jerewan verantwortlich. Als ausgebildete Kuratorin initiiert sie derzeit zahlreiche Projekte in den Bereichen Kultur und Bildung. Im vergangenen Jahr fand eine bedeutende Arbeitsreise statt, bei der unsere Partner/-innen vor Ort in Jerewan besucht wurden, darunter das Goethe-Institut Armenien, das Referat für Internationale Beziehungen der Stadt Jerewan, die Deutsche Botschaft und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.
Wir haben potenzielle Kooperationspartner recherchiert und eine beeindruckende Kulturlandschaft in Jerewan entdeckt, die es zu unterstützen lohnt. Das HayArt Kulturzentrum, das Institute for Contemporary Art (ICA) und die Art Laboratory Residency sind mögliche Partner, um Leipziger bildende Künstler/-innen und Literat/-innen zu präsentieren. Auch armenische nationale und städtische Museen zeigen Interesse an einer Zusammenarbeit.
Besonders erfreulich ist die Einführung der Veranstaltungsreihe "Unwritten Memory", die die Buchtradition Armeniens in der Buchstadt Leipzig präsentiert. Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem armenischen Ministerium für Jugend, Sport und Kultur, dem Goethe-Institut Jerewan, dem GWZO und dem armenischen Honorarkonsulat konzipiert. Zudem wird der Nationale Buchstand Armeniens erneut auf der Leipziger Buchmesse 2025 vertreten sein.
Ein weiteres Highlight und unser besonderer Stolz ist die Gedenktafel für den armenischen Dichter, Schriftsteller und Humanisten Avetik Isahakyan, der von 1892 bis 1895 in Leipzig studierte. Anlässlich seines 150. Geburtstags wird dieser kulturhistorische Zusammenhang gewürdigt. Am 25. März um 16:30 Uhr wird die Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke gemeinsam mit der armenischen Kulturministerin Zhanna Andreasjan die Gedenktafel am Wohnhaus in der Friedrich-Ebert-Straße 27 enthüllen. Die Ministerin besuchte Leipzig mit einer großen Delegation im Sommer 2024 im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft und konnte wesentliche Impulse für diese Initiativen geben.
Nach der Enthüllung der Gedenktafel folgt ein Konzert in der Alten Handelsbörse. Anschließend wird im Zentrum für Immersive Medienkunst, Musik und Technologie (ZiMMT) der armenische Multiinstrumentalist Hayk Karoyi auftreten. Er verbindet auf einzigartige Weise mediterrane Klänge mit der reichen Vielfalt der mittelalterlichen armenischen Kultur. Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Jerewan initiiert, und ich freue mich besonders auf das vibrierende DJ-Set.
Zusätzlich findet im März 2025 eine literarische Residenz in Kooperation mit der ARI Literature Foundation und dem Literaturhaus Leipzig statt. Diese Initiativen zeigen eindrucksvoll, wie Kultur als Brücke zwischen Nationen fungieren und nachhaltige Verbindungen schaffen kann.
Wie sieht die langfristige Vision für die Zusammenarbeit zwischen Jerewan und Leipzig aus?
Im Auftrag von Oberbürgermeister Jung, das große Interesse an der Weiterentwicklung dieser Zusammenarbeit hat, möchten wir sie auf ein stabiles Fundament stellen und zum gegenseitigen Nutzen ausbauen. Kulturelle Veranstaltungen sind, wie bereits erwähnt, der Schlüssel zu den vielfältigen Möglichkeiten kommunaler Kooperation. Weitere Schritte sehen wir in Bereichen, die für beide Städte von Interesse sein könnten: Abfallwirtschaft, nachhaltige Mobilität und Smart Cities – Themen, die wir bereits mit Jerewan definiert haben. Auch trilaterale Projekte mit unserer langjährigen Partnerstadt Lyon, die selbst stark in Jerewan engagiert ist, erscheinen uns vielversprechend.
Zahlreiche kommunale und entwicklungspolitische Themen werden von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts „Strengthening Sustainable and Digital Trade Routes and Logistics Concepts between Eastern Partnership Countries and the EU“ bearbeitet. Der Leiter des Programms, Torben Heinemann, ein erfahrener Verkehrsplaner, der lange für die Stadt Leipzig tätig war, ist unser zentraler Ansprechpartner für dieses Thema. Er war und ist eine treibende Kraft auf europäischer Ebene für diese Partnerschaft.
Im Rahmen des Programms „Culture Moves Europe“ haben wir dieses Jahr mit dem Leipziger Design Studio Baustein einen Antrag eingereicht. Ziel des Projekts ist es, deutsche und armenische Recyclingsysteme zu vergleichen und mit nachhaltigen Materialien zu experimentieren. Als erfolgreiches Praxisbeispiel möchten wir dabei den Konzeptstore der Leipziger Stadtreinigung in den Höfen am Brühl präsentieren.
Ich weiß, dass Sie diesen Sommer Armenien besuchen werden. Was erwarten Sie von diesem Besuch und gibt es bestimmte Ziele oder Erfahrungen, die Sie dort erreichen wollen?
Im Rahmen der bevorstehenden Reisen nach Armenien erhoffen wir uns, die Verbindungen zwischen Leipzig und Jerewan weiter zu stärken sowie den Fachaustausch und Kooperationen zu fördern. Die Reise der armenischen Kulturdiaspora, Leipziger Bürgerinnen und Bürger sowie der Gemeinde um die Nikolaikirche, die Ende Juni stattfindet, zielt darauf ab, den kulturellen Austausch zu vertiefen und das Verständnis zwischen den Kulturen zu fördern. Der Arbeitsbesuch des Referats Internationale Zusammenarbeit und des Honorarkonsulats Armeniens in Sachsen soll die Zusammenarbeit auf administrativer Ebene intensivieren, um zukünftige Projekte zu planen und gemeinsam Lösungen für wichtige Themen zu entwickeln.
Der erste politische Besuch von Leipziger Seite unter Leitung der Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke in Jerewan im Oktober 2025 bietet die Möglichkeit, die kulturellen Beziehungen weiter auszubauen und bestehende Partnerschaften zu festigen. Während dieser Reise möchten wir auch den Aufenthalt einer Leipziger Schriftstellerin oder eines Schriftstellers sowie eine Ausstellung Leipziger bildender Künstler/-innen in Armenien organisieren, um die kulturellen Austauschmöglichkeiten zu konkretisieren und die Kunstszenen beider Städte weiter zu vernetzen.
Zusammengefasst erwarten wir, durch diese Reisen neue Impulse für die Zusammenarbeit zu gewinnen und sowohl die kulturellen als auch die städtischen Beziehungen zwischen Leipzig und Armenien nachhaltig zu fördern.